Erneuerbare Energien reichen doch nicht!
Die Vorbehalte gegenüber erneuerbaren Energien sind groß. Mit Wasser, Wind und Sonne könne man doch nie den globalen Energiebedarf decken. Doch dagegen lässt sich einiges einwenden.
Dennis Meadows ist Ökonom und ein Autor des berühmten Bericht über „Die Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972, in dem die Verfasser den wachsenden globalen Energiebedarf und den Raubbau an den natürlichen Ressourcen der Erde anprangerten. Vor einiger Zeit fragte ein Journalist des Spiegel ihn, ob wirtschaftliche Gewinne mit ökologischen Produkten möglich seien. Wörtlich äußerte der Interviewer: „Aber stellen Sie sich nur die Profite vor, die dem Erfinder einer neuartigen, sauberen und unerschöpflichen Energiequelle winken.“
Das Verrückte an dieser Frage ist: Diese unerschöpfliche Ressource gibt es bereits. Und sie ist absolut sauber. Nur als neuartig kann man sie nicht bezeichnen. Die Rede ist von der Sonne.
Sie ist die mit Abstand größte und wichtigste Energiequelle der Menschheit. Doch ihre Bedeutung und ihr Potential werden krass unterschätzt. Das hat verschiedene Gründe.
Energieflüsse
Einer davon liegt in den Energiestatistiken, die Auskunft geben, wie viel Energie verbraucht wurde. Als Grundlage dafür ziehen Statistiker die kommerzielle Nutzung heran, also sämtliche abgerechneten Energiedienstleistungen. In diesen Tabellen tauchen die erneuerbaren Energien auf, doch nur der technisch aufbereitete Anteil.
Dabei fällt der passive Energieverbrauch unter den Tisch, der so selbstverständlich ist, dass er kaum noch wahrgenommen wird. Denn jedes Lebewesen auf diesem Planeten braucht Sonnenlicht, jede Pflanze, jedes Tier und jeder Mensch. Die solare Energie steckt in jedem Getreidekorn und in jedem Apfel. Und auch das Licht, das die elektrische Lampe überflüssig macht, entstammt der Sonnenkraft. Dennoch tauchen dieser Energieeinsatz und -verbrauch in keinem Datensatz zum Weltenergiebedarf auf.
Sollte die Sonne aufhören, ihre Strahlen zur Erde zu schicken, würden die Temperaturen schlagartig fallen. Innerhalb von kurzer Zeit wäre jedes Leben auf der Erde erloschen.
In diesem Sinne ist die Sonne die mit Abstand wichtigste Energiequelle. Sie ist unersetzlich.
Öffentlichkeitswirksame Kampagnen
Dass diese Perspektive auf das ungeheure Potential des Sonnenlichtes so wenig präsent ist, liegt vor allem daran, dass es bestimmte Akteure gibt, die hier gezielt für Verwirrung sorgen. Die fossilen Energiekonzerne initiierten in den letzten Jahrzehnten diverse öffentlichkeitswirksame Kampagnen, in denen die erneuerbaren Energien schlecht geredet wurden. Die Liste der vermeintlichen Vorbehalte ist lang: Zu unsicher, zu wenig, zu umständlich, keine Speicher, zu teuer.
Riesiges Potential für den globalen Energiebedarf
Die Debatte wird so stark von den Bedenken dominiert, dass die vielfältigen Möglichkeiten der Sonnenenergie leicht in Vergessenheit geraten. Dabei sind die Varianten nicht nur zahlreich, sondern können auch in unterschiedlichen Größenordnungen eingesetzt werden.
Die Internationale Energieagentur Irena hat gemeinsam mit dem Europäischen Patentamt eine Plattform namens Inspire geschaffen, auf der Erfinder ihre Patente im Bereich der erneuerbaren Energien anmelden können. Die Ideen reichen von Techniken zur Erzeugung selbst über die Frage des Ressourceneinsatzes bis hin zu Recyclingmöglichkeiten der Anlagen, um den Einsatz von Rohstoffen zu verringern. Diese Plattform verzeichnet ein starkes jährliches Wachstum, das die Innovationsfreude der Ingenieure belegt.
Das Spektrum der solaren Energieabschöpfung ist groß:
Photovoltaik in Fenstern, auf Dächern, an Fassaden und im Straßenbelag. Windräder in Straßenschluchten, an Autobahnen oder an der Küste. PV-Module über landwirtschaftlichen Flächen und schwimmend in Gewässern. Nullememissionshäuser, die wärmen, kühlen und Autos aufladen. Diverse solare Wärmegewinnungstechniken, von Geothermie zu Heizkraftwerken. Die energetische Nutzung von landwirtschaftlichen Reststoffen. Minikraftwerke in allen Fließgewässern.
In vielen Studien (oder hier oder hier oder hier oder hier ) zeigten Wissenschaftler, dass eine Umstellung auf eine hundertprozentige Vollversorgung mit erneuerbaren Energien schon heute umsetzbar ist. Die genutzten Energiequellen würden sich von Land zu Land unterscheiden – mal mehr Sonne, mal mehr Wasser oder Windkraft. Doch das Ergebnis der Forscher ist eindeutig: Es wäre möglich. Überall.
Lösbar
Das bedeutet nicht, dass es keine technischen Aufgaben mehr gäbe. Aber: Alle Herausforderungen, die bei einer vollständigen sauberen Energieerzeugung noch bestehen mögen, sind lösbar. Im Gegensatz dazu hat die fossile Produktionsweise keine Perspektive. Ihre Probleme sind nicht lösbar.
Die Vorbehalte gegenüber den erneuerbaren Energien sind dennoch ein ständiges Thema, da die fossile Energiewirtschaft seit Jahrzehnten bezahlt, solche Zweifel zu verbreiten. Dass die Energiewende zwar viel Zustimmung in der Bevölkerung erhält, sich aber kaum jemand vorstellen kann, auf diesem Weg den gesamten globalen Energiebedarf zu erzeugen, ist daher nachvollziehbar.
Nichtsdestotrotz bleibt die Annahme falsch und führt zu verheerenden Konsequenzen: Das größte Energiepotential auf diesem Planeten wird konsequent verkannt.
Die Frage der Verwertbarkeit
An dieser Stelle sei noch einmal auf das Zitat von dem Journalisten verwiesen, der von den Gewinnmöglichkeiten einer neuen, sauberen Energiequelle sprach. Offenbar kann er sich Energie nur in Verbindung mit Profit vorstellen. Das ist in der Tat der Knackpunkt in der gesamten Debatte. Denn Sonnenenergie lässt sich nicht so verwerten wie fossile Rohstoffe, weil sie überall und jederzeit abschöpfbar ist.
Das ist ein großes, folgenreiches und vielschichtiges Thema, in dem die Gründe zu finden sind, warum die Energiewende so vehement bekämpft wird. Aber es betrifft die ökonomischen und politischen Systeme und ist deshalb ein anderes Feld. Die Potentiale der Solarkraft, um den globalen Energiebedarf zu decken, sind klar gegeben – sauber und unerschöpflich.
Doch anstatt diese Möglichkeiten – direkte Sonne, Wind, Erdwärme, Wasserkraft und Biomasse – konsequent auszuschöpfen, buddeln Energieproduzenten fossile Rohstoffe aus der Erde, um sie zu verbrennen. Und obwohl die Energie aus dieser Produktionsweise im Verhältnis zu dem alltäglichen Sonnenlicht lächerlich gering ist, gilt sie als unverzichtbar.
Das wird auch an folgender Berechnung deutlich: Der gesamte weltweite Energiebedarf könnte mit der solaren Energie, die in nur einer Stunde auf die Erde fällt, gedeckt werden. Die Menschheit verfügt über Energie im Überfluss.
Sonnenenergie ist die Zukunft - im Kleinen wie im Großen.
Georges T. Roos, Zukunftsforscher