Energiewende: Immer noch ein Interessenkonflikt
Politik und Energiekonzerne erwecken den Eindruck, die Energiewende sei ein Anliegen der gesamten Gesellschaft und für alle vorteilhaft. Doch die alte Konfliktlinie zwischen zentralen und dezentralen Systemen gibt es immer noch. Und sie ist aktueller denn je.
Früher waren die Fronten klar: Auf der einen Seite standen die fossil-atomaren Energiekonzerne, die in ihrem jeweiligen Gebiet über eine monopolistische Stellung verfügten. Als Gegenspieler für die Energiewende traten die Betreiber von Windrädern oder Photovoltaik-Anlagen auf, die auf lokaler Ebene agierten. Sie engagierten sich in offensichtlich dezentralen Projekten, die die zentralistischen Strukturen der Energiewirtschaft herausforderten.
Ein gemeinsames Ziel?
Heute sind die Konfliktlinien nicht mehr so klar erkennbar. Energiekonzerne betonen ihr Engagement für die sauberen Produktionsverfahren und inszenieren sich als Vorreiter für den Klimaschutz. Die Zukunft gehöre den erneuerbaren Energien, beteuern sie immer wieder. Deshalb würden sie in große Anlagen investieren und dadurch die Schrittmacherrolle bei der Energiewende übernehmen.
Für diese Linie erhalten sie viel Unterstützung der Bundesregierung. Wirtschaftsminister Altmaier und Bundeskanzlerin Merkel bezeichnen den Klimaschutz (inzwischen) als wichtiges Ziel ihrer Politik. Die Energiewende sei dafür unbedingt notwendig und müsse im Rahmen eines „nationalen Kraftaktes“ umgesetzt werden. Dabei erwecken die Regierungspolitiker den Eindruck, als sei das Engagement von vielfältigen Akteuren erwünscht: Energiekonzerne mit großen Offshore-Anlagen ebenso wie Solarparks und Photovoltaik-Panele auf Eigenheimen.
Diese Aktivitäten vermitteln den Eindruck, als gäbe es in Bezug auf Energiewende und Klimaschutz einen gesamtgesellschaftlichen Konsens. Nachdem nun auch Energiekonzerne und Regierung die Dringlichkeit verstanden hätten, sei der Klimaschutz auf dem richtigen Weg. Detailfragen seien noch umstritten, aber grundsätzlich gäbe es in dieser Frage keinen Interessenkonflikt.
Systemische Betrachtung
Doch den grundlegenden Widerspruch zwischen zentralen und dezentralen Strukturen gibt es immer noch. Diese Konfliktlinie hat – trotz all der PR – nichts von ihrer Aussagekraft verloren. Strukturell kann die Energieversorgung von wenigen Konzernen gesteuert werden oder sie liegt in der Verantwortung von vielfältigen Akteuren. Die beiden Systeme sind nicht miteinander kombinierbar. (mehr dazu hier)
Neue fossile Strategien der Energiekonzerne
Dieser Interessenkonflikt erklärt aktuelle Versuche der Energiewirtschaft, die Produktion von sauberem Strom in ihre zentralistischen Strukturen zu pressen. Da gibt es verschiedene Ideen, wie Energiekonzerne als Vermarkter und Verwerter auftreten können (hier). Solche Konzepte klingen auf den ersten Blick ökologisch ambitioniert und progressiv, doch letztlich geht es einmal mehr um politische Fragen der Macht und Verfügungsgewalt. Wer besitzt, wer entscheidet und wer verfügt?
Immer dieselbe Konfliktlinie
Auch wenn der Interessenkonflikt also nicht mehr so deutlich erkennbar ist, wie in den Anfangsjahren der Energiewende, so hat er nichts von seiner Relevanz verloren. Im Gegenteil ist die Konfliktlinie zwischen zentralen und dezentralen Strukturen aktueller denn je.
Hier entscheidet sich, ob die Energiepolitik zu einer noch stärken Konzentration von Macht und Vermögen führt. Oder ob sie – im Gegenteil – zu einer gerechteren Verteilung und zu einer Demokratisierung genutzt werden kann.
Nichts beim Thema Energiewende ist auserzählt. Oder in den Worten von Wirtschaftsminister Altmaier: „Die vier Jahre bis 2025 werden die bisher spannendsten der Energiewende werden.“
Damit kommt die Systemfrage auf die Agenda: soll/kann der Weg zu 100 Prozent Erneuerbar, der nun ansteht, weiterhin der Ägide der Konzerne überlassen bleiben, oder müssen die Akteure, die die Energiewende gestartet und – gegen vielfache Behinderungsmanöver seitens Konzernen und Regierungen – bis zum heutigen Stand vorangebracht haben, nun die Verantwortung für die Energieversorgung insgesamt übernehmen?
Christfried Lenz
Es läuft immer offenkundiger auf Weichenstellungen hinaus, die Energiegewinnung in der Dezentralität beenden. Das Zukunftsbild von Peter Altmaier und den im Bundestag federführend verhandelnden CDU/CSU-Abgeordneten orientiert sich an zentraler Energiegewinnung (Offshore) und Sonne aus Afrika. Als Einfallstür dient die Wasserstoffförderung.
Nina Scheer